Green Book – Eine besondere Freundschaft (2018)

Ein weißer Blick auf schwarze Identität

Zu aller erst: Green Book ist ein sehenswerter Film, Mahershala Ali und Viggo Mortensen liefern ausgezeichnete schauspielerische Leistungen ab, der Film fängt den 60er Jahre Flair in Amerika gut ein und besonders die Second Unit Aufnahmen der Roadtrip Sequenzen spiegeln diesen hervorragend wieder und sind nicht, wie so oft bei solchen Filmen, einfach nur aneinander gereihte und uninspirierte Landschaftsaufnahmen. Auch bei den Oscars ging der Film nicht leer aus: Green Book wurde als ‘Bester Film’ und ‘Bestes Originaldrehbuch’ ausgezeichnet, Ali gewinnt ‘Bester Nebendarsteller’ und der Film war darüber hinaus nominiert für ‘Bester Hauptdarsteller’ (Mortensen) sowie ‘Bester Schnitt’. Doch grade der Preis für den ‘Besten Film’ wurde vielerorts kritisiert, da Green Book für so manche nur ein weiterer Feel Good Movie mit ‘weißem Retter’ für ein überwiegend weißes Zielpublikum sei. Woher kommt also diese Kritik und ist sie begründet?

In Green Book spielt Viggo Mortensen den Italo-Amerikaner Tony ‘Lip’ Vallelonga, eigentlich Türsteher im berühmten Copacabana, welches jedoch wegen Renovierungsarbeiten vorübergehend geschlossen wird, weshalb Tony nach einer anderen Möglichkeit suchen muss seine Familie finanziell zu unterstützen. Hierbei trifft er auf den schwarzen Konzertpianisten Dr. Don Shirley (Ali), welcher eine Konzerttour durch den amerikanischen Süden plant und hierfür einen Fahrer braucht, aber auch, aufgrund des in den sechziger Jahren im Süden noch weit verbreiteten und unangefochtenen Rassismus, einen Bodyguard, der ihn sicher von New York in den Süden und wieder zurück bringen kann. Tony, der selbst anfangs starke rassistische Züge aufweist – er wirft zwei Gläser, aus welchen schwarze Handwerker in seinem Haus getrunken haben, direkt in den Müll – muss vom ‘Doc’ jedoch zuerst mit einem für die Zeit außergewöhnlich hohem Gehalt von dessen Sache überzeugt werden. Von diesem Zeitpunkt an verläuft der Film so, wie man es sich vorstellt: Beide Männer, Tony als weißer Mann der Arbeiterklasse und Doc als schwarzer in der Oberschicht – eine praktisch direkte Umkehrung des Settings aus Driving Miss Daisy – lernen sich im Laufe ihrer Reise näher kennen und werden Freunde, Tony lässt seine rassistischen Tendenzen fallen und Shirley wird lockerer und offener.

Rassismus ist bis heute unter anderem in den USA ein wichtiges, polarisierendes und für die ‘American Identity’ zentrales Thema. Regisseur Peter Farrelly, eher bekannt für Filme wie Dumb and Dumber oder There’s Something about Mary, wagt sich hier also nicht nur an ein ernstes, sondern auch an ein für die amerikanische Kultur und Gesellschaft zutiefst bedeutsames Thema heran. Die Figur des Don Shirley ist hierfür ausgesprochen interessant: Shirley, der sich durch sein Talent am Piano und seine gewählte Ausdrucksweise in die gradezu durchweg weiße Oberschicht einzufinden versucht und dabei den Kontakt zu seinen schwarzen Mitbürgern sowie seiner eigenen Identität als erfolgreicher schwarzer Mann in Amerika zu verlieren droht, bietet außerordentlich viel Potenzial, um die Frage nach Identität, Vorurteilen und dem Kontrast oder vermeintlichen Kontrast zwischen schwarzer und weißer Kultur, zwischen Minderheit und Mainstream zu beleuchten, zu hinterfragen und auf die Probe zu stellen. Die Frage nach der Identität Shirleys wird im Film auch aufgegriffen, als dieser Tony verzweifelt fragt, wer er denn sei, wenn er für die weiße Oberschicht zu schwarz und für seine schwarzen Mitmenschen aufgrund seines Berufs, Umfelds und seiner Verhaltensweise zu weiß sei. Doch anstatt diesen tragischen Zwiespalt in der Identitätsfindung zu erforschen, wird Shirley ein Eimer Kentucky Fried Chicken von Tony vorgesetzt, der gradezu schockiert ist, dass der Doc diesen noch nie probiert hat. Sicher ist der Film selbstironisch und will gerade durch solche Szenen Vorurteile und Ressentiments hervorbringen und belächelnd zur Schau stellen, doch dient dies nicht der ernsthaften Beschäftigung mit der Frage nach schwarzer Identität oder kultureller Problematik, sondern lediglich als Zeichen an das moderne weiße Publikum, über Tonys Unverständnis lachen zu dürfen und sich selbst sagen zu können, wie weit man doch bis heute schon gekommen sei. Hierher rührt der Vorwurf an den Film ein Feel Good Movie zu sein, der zwar ein ernstes Thema zu verhandeln versucht, seinem Publikum dieses aber als Vergangenheit präsentiert, über welche man hinausgewachsen sei. Fakt ist, dass Rassismus in den USA immer noch ein Problem darstellt. Fakt ist, dass immer noch schwarze Bürger von der Polizei und anderen öffentlichen Stellen regelmäßig misshandelt werden. Fakt ist auch, dass vielerorts schwarze US-Amerikaner immer noch als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Wenn Tony sich im Film rassistisch verhält, wird dies zur Schau gestellt, jedoch nicht als Anprangerung an den weißen Kinozuschauer – Tony wird in diesen Szenen klar vom Publikum getrennt. Als Identifikationsfigur fungiert er nur, wenn er ab der Mitte des Films anfängt sich für seinen schwarzen Boss, der zum Freund wird, einzusetzen oder wenn er in seiner Rolle als Familienvater auftritt. Tonys Reise mit dem ‘Doc’ in den Süden soll so die Reise Amerikas widerspiegeln. Der Süden nimmt klar die Rolle einer wahrgenommenen Vergangenheit ein, Tony den des Status Quo der ‘60er, wo man grade in den Großstädten wie New York zwar nicht mehr explizit rassistisch war, gewisse Tendenzen aber immer noch vorhanden sind. Durch die Tournee mit Shirley lernt Tony diesen dann vermeintlich kennen und entwickelt sich zum modernen, völlig vom Rassismus befreiten Vorzeige-Amerikaner weiter.

Doch der deutsche Titel des Films trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf; so ist die Freundschaft in Green Book – Eine besondere Freundschaft, ja eine gradezu außergewöhnliche, denn das Drehbuch basiert zwar auf wahren Begebenheiten, spiegelt aber sicherlich nicht den allgemeinen Stand der Dinge heute, geschweige denn den der 1960er Jahren wider. Macht all dies Green Book zu einem schlechten Film? Definitiv nicht. Genau so wie Driving Miss Daisy ist er zuallererst ein Unterhaltungsfilm und das kann er auch: unterhalten. Die Schauspielkunst, die Ali und Mortensen präsentieren, ist bemerkenswert und trägt über weite Strecken den Film. Green Book jedoch als großen Schritt im Umgang mit Rassismus darzustellen wäre vermessen. Es ist daher durchaus verständlich, wenn Green Book in dieselbe Kategorie einsortiert wird wie Guess Who’s Coming to Dinner, als ein Film der auf unterhaltsame Weise versucht ein ernsthaftes und für die amerikanische Kultur und Geschichte kritisches Thema zu behandeln, hierbei aber einfach aufgrund der eigenen Leichtherzigkeit und dem Verlangen nach einem Happy End mit froher Botschaft das Ziel und vielleicht auch den passenden Ton verfehlt. So spiegelt Green Book zwar nicht die Weiterentwicklung der USA wider, sondern viel mehr den Wunsch des weißen amerikanischen Kinobesuchers die düstere eigene Vergangenheit hinter sich zu lassen. Green Book ist ein weiteres Zeichen in Hollywoods Filmgeschichte, dass Amerika sich weiterentwickeln möchte, ernsthaft auf den Rassismus und die Diskriminierung zurückblicken möchte und sagen können möchte, dass man die Schrecken vergangener Tage hinter sich gelassen hat. Doch wird dies nicht durch einen ‘weißen Retter’ geschehen, der ein für alle mal und für jedermann den Rassismus aus der Welt schafft. Was in Green Book fehlt ist somit die Aufforderung an das Publikum selbst zur Tat zu schreiten und die eigene Geschichte, Kultur und Identität kritisch zu hinterfragen, anstatt alles einem Ritter in glänzender Rüstung, wie Tony es am Ende des Films zu seien scheint, zu überlassen. Dies ist kein einfacher Schritt und ist auch nicht während eines mehrmonatigen Roadtrips auszuhandeln, sondern ein langwieriger Prozess. Die Reise des weißen Kinozuschauers in die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit hat grade erst begonnen.